von Erdmute Dietmann-Beckert
Wenn man mich nicht fragt, was Zeit ist, weiß ich es“ sagte einst ein kluger alter Mann, „wenn man mich fragt, weiß ich es nicht.“ Warum frage ich?
Über den Autor
Norbert Elias wurde am 22. Juni 1897 in Breslau geboren. Er studierte Medizin und Philosophie. Später wechselte er zur Soziologie und habilitierte sich bei Alfred Weber.
Zu Beginn der Nazi-Diktatur floh er nach Paris und England. Seine Mutter starb 1941 in Auschwitz. In den 1960er Jahren war er Dozent in Leister und Professor in Ghana. Danach lehrte er als Gastprofessor an der Universität Münster.
1977 erhielt er den Theodor-Adorno-Preis. 1989 verfasste er „Studien über die Deutschen“. Er starb am 1. August 1990 in Amsterdam.
Vorbemerkung
Mit meinem Text erhebe ich nicht den Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit im Seminar für Soziologie. Ich beschreibe meine bruchstückhaften Erkenntnisse aus der
Lektüre der Schrift „Über die Zeit“ von Norbert Elias.
„Zeit“ kein Begriff
Der Philosoph Immanuel Kant bezeichnet die „Zeit“ als eine unendliche Größe, eine im Menschen angelegte Anschauungsform, die, wie auch der Raum, eine unveränderliche Bedingung für die menschliche Erfahrung ist. Er hat, wie Elias schreibt, „voreilig aus seiner eigenen Erfahrung diesen Schluss“ gezogen und nicht daran gedacht, dass Hypothesen überprüft werden können. Das Substantiv Zeit verleite dazu, isoliert vom Menschen betrachtet zu werden. Dem könne man begegnen, wenn es in der Verbform gebraucht werde, wie das englische „timing“, so Elias.
Für Albert Einstein ist „Zeit“ eine Beziehungsform, die unter bestimmten Umständen „schrumpfen oder sich ausdehnen„ könne.
Zeitbestimmung
Bevor die Uhr und der Kalender für die Bestimmung der Zeit, wie wir diese heute kennen, zuständig wurden, richteten sich die Menschen nach dem Stand von Sonne, Mond und Sternen. Sie beobachteten den Wandel der Jahreszeiten und erforschten ihre Gesetzmäßigkeiten. Mithilfe dieser Erkenntnisse bestimmten sie die Zeit der Saat und der Ernte oder der Jagd.
Kalender und Uhren
Kalender und Uhren zeigen, wie die Zeit in einer Richtung fortschreitet. Die Jahre vergehen, es gibt keine Wiederholung. Noch deutlicher wird die Vorwärtsbewegung, wenn wir auf die Uhr schauen. Der Zeiger, der gerade noch auf zwölf stand, ist jetzt um eine Minute weiter gerückt. Kalender und Uhren zeigen, dass diese Bewegungen unwiederholbar sind, obwohl sie dem Anschein nach wieder neu beginnen.
Wandel versus Dauerhaftigkeit
Auch wenn jedes neue Jahr mit Januar beginnt, wird es doch immer ein anderes sein. Nichts bleibt, wie es einmal war. Wir sind älter geworden. Das eigene Lebensende rückt näher. Elias meint, dass das Wissen um die eigene Endlichkeit die Sehnsucht nach etwas Dauerndem wecke, etwas das über den Tod hinaus Beständigkeit habe. Um den Gedanken an die Begrenztheit des eigenen Lebens, den eigenen Tod, zu verdrängen, möchten die Menschen, dass ihnen den Tod überdauernde Ewigkeiten angeboten würden. Diesen Anspruch, schreibt er, erhebe die Mathematik. Norbert Elias widerspricht und verweist darauf, dass eine konsensfähige Theorie der Mathematik bisher fehle, auch gebe es keine entwicklungsfähige Theorie der Zeit.
Schlussbemerkung
Elias hat seinen Text zum ersten Mal 1984 veröffentlicht. Ich habe keine Kenntnis darüber, ob in den vergangenen dreißig Jahren eine, wie er sagt „konsensfähige Theorie der Zeit“ entwickelt worden ist.
Über die Zeit im Allgemeinen und meine eigene Lebenszeit nachzudenken, hat mich fasziniert. Vielleicht regt mein Text Leserinnen und Leser an, sich ebenfalls mit Norbert Elias‘ Ausführungen zur „Zeit“ zu befassen. Er hat zu diesem Thema sehr viel mehr zu sagen, als ich hier vorstellen konnte.
Quellen und Links
Elias, Norbert. Über die Zeit. Frankfurt. M. 1988.
Kant für Anfänger. Kritik der reinen Vernunft. Von Ralf Ludwig. München 1995.
Elias/Uni Graz
Elias/Uni Halle