Gedanken in der Literatur

von Margret Budde

Zu allen Zeiten haben sich die Menschen Gedanken über das Alter gemacht. Stöbert man in den Bücherlisten, so gibt es laufend Neuerscheinungen. In meiner Zusammenstellung aber habe ich nur Gedanken aus vergangenen Jahrhunderten aufgeführt.

Reiseziel

Hâfiz de Chiraz, British Museum;
gemeinfrei

Muhammad Schams ad-Din Hafis (um 1320-1390)

Nun ist das Leben an seinem Ziel
Und ohne Zweck war die Reise.
O Jüngling, rühre das Saitenspiel,
Schon morgen wirst du zum Greise.
Das lecke Schiff und der morsche Kiel
In Meeren ohne Geleise,
Der Winde Ball und der Wellen Spiel
Unnütz gewirbelt im Kreise.
So viel gehofft und gewünscht so viel,
Getäuscht in jeglicher Weise,
Hindurch durchs ewige Widerspiel
Gequält von Glut und von Eise.
Nun sinkt die Rose auf mattem Stiel,
Die Blätter fallen vom Reise.
Nun ist das Leben an seinem Ziel
Und ohne Zweck war die Reise.
(aus dem Persischen übersetzt von Friedrich Rückert)

Das Alter

gemeinfrei

Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781)
Nach der 11ten Ode Anakreons.

Euch, lose Mädchen, hör ich sagen:
»Du bist ja alt, Anakreon.
Sieh her! du kannst den Spiegel fragen,
Sieh, deine Haare schwinden schon;
Und von den trocknen Wangen
Ist Blüt und Reiz entflohn.«

Wahrhaftig! ob die Wangen
Noch mit dem Lenze prangen,
Wie, oder ob den Wangen
Der kurze Lenz vergangen,
Das weiß ich nicht; doch was ich weiß,
Will ich euch sagen: daß ein Greis,
Sein bißchen Zeit noch zu genießen,
Ein doppelt Recht hat, euch zu küssen.

Der alte Pojaz spricht

gemeinfrei

Kurt Tucholsky (1890 – 1935)

Mein Kind, ich bin schon lange fern der Schminke,
Gern denk ich dran, das war die bunte Zeit!
Ich gab dem Personal die letzten Winke,
Dann trat ich auf: zwei Meter zwanzig breit,
Auf meinem Hut sang ein Kanaripärchen,
Auf Rollen zog ich nach ein kleines Licht …
Und doch: betracht ich mir die letzten Jährchen –
Nein! solche Purzelbäume schlug ich nicht!

Ich war gewiß mal eine dolle Nummer,
Trieb meinen besten Freunden Nägel in den Bauch
Und sang mir häufig meinen Liebeskummer
In einen präparierten Gartenschlauch.
Nun bin ich alt und bürgerlich geworden,
Ich seh mich um, was hier zu Hause ficht,
Seh mir die Leute an mit Titeln und mit Orden
Nein! solche Purzelbäume schlug ich nicht!

Wenn ich die Ausschußpolitik betrachte,
Dies Reklamiertenmundwerk – bin ich starr.
Denn, was ich auch in meiner Jugend machte:
Ich war ein Clown, doch war ich niemals Narr.
Ich ließ die Pritsche und Pistole krachen,
Ich tanzte manchen Wackelpolkaschritt …
Doch was die neuen Clowns für Sprünge machen:
Grüß Gott, mein Kind, da kann ich nicht mehr mit!

Anders

Foto: CC, Maschinenjunge

Heinrich Kämpchen (1847 – 1912)

Ihr sprecht vom Alter wie von einer Last,
Ich aber hab’ es anders aufgefaßt
Und muß bei dieser Meinung auch beharren.
Bin ich gleich alt, ich fühle mich nicht so,
Bin immer jung noch und begeisterungsfroh
Und trag’ im Kopf noch manchen Torheitssparren.

Und immer pfleg’ ich noch den Schönheitskult,
Wie früher auch – und freue mich der Huld
Der Frauen, diesen ewig wunderbaren.
Ist auch mein Haar schon lange schneegebleicht,
Vom Altersfrost bin ich noch nicht erreicht,
Heiß schlägt mein Herz wie in den Jugendjahren.

So mancher fühlt als Jüngling sich schon alt,
Weil er zu früh erlegen der Gewalt
Der Liebeslust in ihrem tollsten Drange.
Ich aber hab’ bescheidener gehaust,
Und hat mich auch die Leidenschaft umbraust,
Nicht wurden welk davon mir Stirn und Wange.

Drum ist das Alter mir auch keine Last,
Weil ich es nie als solche aufgefaßt,
Weil ich mich jung noch fühle, trotz der Jahre.
Und bleiben soll’s so, bis ich wieder geh
Zum letzten Schlaf, nach Erdenlust und Weh,
Bis daß der Tod mich bettet auf die Bahre.

O trübe diese Tage nicht

gemeinfrei

Theodor Fontane (1819-1898)

O trübe diese Tage nicht,
Sie sind der letzte Sonnenschein,
Wie lange, und es lischt das Licht,
Und unser Winter bricht herein.
Dies ist die Zeit, wo jeder Tag
Viel Tage gilt in seinem Wert,
Weil man’s nicht mehr erhoffen mag,
Dass so die Stunde wiederkehrt.
Die Flut des Lebens ist dahin,
Es ebbt in seinem Stolz und Reiz,
Und sieh, es schleicht in unsern Sinn
Ein banger, nie gekannter Geiz;
Ein süßer Geiz, der Stunden zählt
Und jede prüft auf ihren Glanz,
O sorge, dass uns keine fehlt,
Und gönn uns jede Stunde ganz.

Die Alten und die Jungen

„Unverständlich sind uns die Jungen“
Wird von den Alten beständig gesungen;
Meinerseits möcht ich’s damit halten:
„Unverständlich sind mir die Alten.“
Dieses Am-Ruder-bleiben-Wollen
In allen Stücken und allen Rollen,
Dieses Sich-unentbehrlich-Vermeinen
Samt ihrer „Augen stillem Weinen“,
Als wäre der Welt ein Weh getan –
Ach, ich kann es nicht verstahn.
Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,
Wirklich was Besseres schaffen und leisten,
Ob dem Parnasse sie näher gekommen
Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,
Ob sie mit andern Neusittenverfechtern
Die Menschheit bessern oder verschlechtern,
Ob sie Frieden sä’n oder Sturm entfachen,
Ob sie Himmel oder Hölle machen –
Eins lässt sie stehn auf siegreichem Grunde,
Sie haben den Tag, sie haben die Stunde,
Der Mohr kann gehn, neu Spiel hebt an,
Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.

Im Alter

gemeinfrei

Karl May (1842 – 1912)

Ich bin so müd, so herbstesschwer
Und möcht am liebsten scheiden gehn.
Die Blätter fallen rings umher;
Wie lange, Herr, soll ich noch stehn?
Ich bin nur ein bescheiden Gras,
Doch eine Ähre trag auch ich,
Und ob die Sonne mich vergaß,
Ich wuchs in Dankbarkeit für dich.

Ich bin so müd, so herbstesschwer,
Und möcht am liebsten scheiden gehn,
Doch brauche ich der Reife mehr,
So laß mich, Herr, noch länger stehn.
Ich will, wenn sich der Schnitter naht
Und sammelt Menschengarben ein,
Nicht unreif zu der Weitersaat
Für dich und deinen Himmel sein.

Frühling im Alter

gemeinfrei

Ernst Moritz Arndt (1769 – 1860)

Singen die Vöglein im grünen Wald,
Klingen die Bächlein bergunter,
Lockt es den Alten mit Lustgewalt,
Klopfet das Herz ihm so munter:
Denket der Wonnen verschienener Lenze,
Denket der Kränze und denket der Tänze,
Fallen auch Tränen herunter.

Singet und klinget! das Heute ist mein,
Heut will ich singen und klingen
Lustig mit spielenden Kindern feldein,
Fröhlich mit fröhlichen Dingen,
Will mir bekränzen die Locken, die greisen:
Bald muß ich hinnen und wandern und reisen,
Wo mir die Vögel nicht singen.

Das Alter

…im Jahr 1841; gemeinfrei

Joseph Freiherr von Eichendorff (1788 – 1857)

Hoch mit den Wolken geht der Vögel Reise,
Die Erde schläfert, kaum noch Astern prangen,
Verstummt die Lieder, die so fröhlich klangen,
Und trüber Winter deckt die weiten Kreise.

Die Wanduhr pickt, im Zimmer singet leise
Waldvöglein noch, so du im Herbst gefangen.
Ein Bilderbuch scheint alles, was vergangen,
Du blätterst drin, geschützt vor Sturm und Eise.

So mild ist oft das Alter mir erschienen:
Wart nur, bald taut es von den Dächern wieder
Und über Nacht hat sich die Luft gewendet.

Ans Fenster klopft ein Bot‘ mit frohen Mienen,
Du trittst erstaunt heraus – und kehrst nicht wieder,
Denn endlich kommt der Lenz, der nimmer endet.

Das Alter

Goethe 1811 (Pastellzeichnung von
Louise Seidler); gemeinfrei

Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Das Alter ist ein höflich Mann:
Einmal übers andre klopft er an;
Aber nun sagt niemand: Herein!
Und vor der Türe will er nicht sein.
Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heißts, er sei ein grober Gesell.

Quellen:

www.lyrik-lesezeichen.de
http://gedichte.xbib.de
http://de.wikipedia.org/wiki/Hafes