von Erna Subklew
Das Alter und die Lebenszeit des Einzelnen spielen in unserer Gesellschaft eine große Rolle. Die ständige Verlängerung der Lebenszeit erzeugt Ängste, weil unser Sozialsystem nicht auf diese Länge ausgelegt ist. Die Altersarmut droht wie ein Gespenst.
Der Zustand
Alter ist in der Regel weder spektakulär noch tröstlich, weder besonders abstoßend, noch liebenswert (Göckenjahn/Kondratowitz). Alt werden ist eine individuelle Erfahrung, die jeder macht. Es ist eine zwangsläufige Veränderung in einem sich bis jetzt ständig verlängernden Leben. Meist empfindet man sein Alter erst, wenn es einem gesagt wird, wenn einem ein Platz in der U-Bahn angeboten wird und man eine fürsorglichere Behandlung erfährt. Persönlich sieht man immer nur das Alter der anderen.
Heute besitzt das Alter eine Heterogenität, die es vor einigen Jahrzehnten noch nicht hatte. Die immer weiter um sich greifende Frühverrentung, die man selbst unter in Kaufnahme von Rentenkürzungen anstrebt, bedeutet eine Verjüngung des Alters. (Rente = 65 = alt)
Andererseits aber fühlen sich die Menschen, vor allem in den industrialisierten Ländern, immer jünger. Man hat, je nachdem wann man aus dem Beruf ausscheidet, nicht mehr nur einige Jahre, sondern oft mehrere Jahrzehnte vor sich.
Das individuelle Altern
Altern ist ein vielfältiger Prozess, der je nach Individuum höchst unterschiedlich verläuft. Das Alter orientiert sich weitgehend am individuellen Lebenslauf. Dabei spielen biologische die Konzeption, die körperliche und psychische Belastung eine Rolle. Ein schwere körperliche Arbeit leistender Mensch altert in der Regel eher als einer, der nicht so schwer arbeiten muss.
Altern ist auch deshalb mehrdimensional, denn wir altern nicht nur in biologischer, psychischer sondern ebenso in sozialer Hinsicht. Daher sprechen wir auch von den vier verschiedenen Dimensionen des Alters.
Das kalendarische Alter
Am wenigsten individualisiert ist das kalendarische Alter. Es gibt die Zahl der gelebten Jahre an. Man kommt für gewöhnlich in einem bestimmten Alter in die Schule und beendet sie nach einer bestimmten Zeit. Zu einer bestimmten Zeit macht man seine Ausbildung und wird nach einer ebenso bestimmten Zeit frei gesetzt. Selbst wenn man wollte, könnte man nicht in seinem Beruf weiter arbeiten.
Das soziale Alter
Die soziale Alterszuschreibung ist abhängig vom Zustand der sozialen Verhältnisse und den Institutionen, denen die Gesellschaft Bedeutung zumisst.
Betrachtet man dabei die Anzahl derer, die immer früher in Rente gehen, das Rentenalter liegt im Augenblick niedriger als 60 Jahre, so steigt die Zahl derer, die als alt gelten, denn in Deutschland zählt der als alt, der in Rente ist! Damit erfolgt aber auch eine Vorverlegung der typischen Altersrisiken auf immer jüngere Jahrgänge.
In anderen Ländern hängt die Verrentung nicht mit den Lebensjahren zusammen wie bei uns. In der Türkei sind es die abgeleisteten Arbeitsjahre, die zur Verrentung führen. So werden Beamtinnen nach 25 Jahren verrentet. Das bedeutet beispielsweise, dass Lehrerinnen in der Regel mit kaum 50 Jahren den Schuldienst verlassen. Es kann dann ohne weiteres ein anderer Beruf ausgeübt werden.
Das biologische Alter
Biologisch gesehen ist der Alterungsprozess das vorhersehbare, fortschreitende, allgemeine Nachlassen gewisser psychologischer Systeme: mental und physisch, verhaltensmäßig und biomedizinisch (Friedan)
Noch um 1990 setzt Stuart-Hamilton das höhere Alter bei 60 – 65 Jahren an. Ab dieser Zeit treten bereits Beeinträchtigungen ein, man sieht nicht mehr so gut, man hört nicht mehr so gut, man ist nicht mehr so beweglich. Früher erworbene Beeinträchtigungen verstärken sich.
Stuart-Hamiltons Aussage nach hängt das biologische Alter mit der schlechteren Durchblutung der Zellen und des Gehirns zusammen, die zur Beeinträchtigung der Wahrnehmensfähigkeit führen und mit einer langsameren Aufnahme der Informationen einhergehe.
Dem widerspricht Friedan, da dann das Alter vorhersagbar sein wäre, was es nicht ist. Neuere Forschung hat ergeben, dass der körperliche und geistige Abbau im Alter weit geringer ist- als angenommen wurde und gut kompensierbar ist.
Das individuelle Alter
Das individuelle Alter ist abhängig vom Lebensverlauf, den individuellen Orientierungs-, Verhaltens- und Bewältigungsmustern aufgrund von Lebenserfahrung, Arbeitssituation, Gesundheitszustand und Zugehörigkeit zu einer ethnischen Kultur (Dietzel-Papakyriakou).
Es gibt auch Ethnien, bei denen die Stellung innerhalb des Familienverbandes eine Zuweisung für das Alter ist. Welche Art von Alterszuweisung das Individuum für sich in Anspruch nimmt, hängt davon ab, wie stark das Zusammengehörigkeitsgefühl zu seiner Gruppe ist, wie sehr sich davon seine Identität herleitet.
Je homogener die ethnische Gruppe hinsichtlich ihres Bildungsniveaus, der regionalen Herkunft, ihrem sozialen Stand, ihrer Religiosität ist, desto stärker bindet sie das Individuum ein. Die Gruppe ist dann aber auch umso tragfähiger und fängt den Einzelnen auf bei Unsicherheiten, also auch bei Arbeitsverlust und Verrentung.
Das Ende
Lebensalter und Lebenslauf müssen als Verknüpfung von individuellen und gesellschaftlichen Entwicklungen gesehen werden. Sie sind in den letzten Jahren zu einem zentralen Thema geworden. Die Bedeutung des Alters hat nicht ab-, sondern zugenommen.
Die Bedeutung des Todes hat dagegen abgenommen. Während der Tod in der vormodernen Bevölkerung ein Ereignis war, das jeder Zeit eintreten konnte, kann man sich jetzt beinahe darin einrichten, ihm erst in den höheren Lebensjahren zu begegnen. Neun Zehntel der Frauen und vier Fünftel der Männer erreichen das 60. Lebensjahr. (Kohli) Dies bedeutet nicht, dass es nicht auch ein früheres Sterben gibt. Dies wird jetzt umso schmerzlicher empfunden.
Die Verlagerung des Todes ist ein entscheidendes Merkmal unserer Zeit im Vergleich zur Vormoderne.
Zitierungen aus den Büchern:
Stuart-Hamilton, Ian: Die Psychologie des Alterns,
Göckenjahn,G. v. Kondratowitz, H.J.: Die Angst vor dem Sterben
Kohli, M. Lebenslauf und Lebensalter als gesellschaftliche Konstruktionen:
Friedan B. Mythos Alter
Links: Sprüche über das Alter: