von Dietrich Bösenberg
Im Oktober 1939 schlossen Hitler-Deutschland und das faschistische Italien ein Abkommen zur Umsiedelung der deutschsprachigen Bevölkerung Südtirols und einiger Nachbargebiete in deutsches Reichsgebiet.
Der Hintergrund
Die Siegermächte des 1. Weltkriegs hatten 1919 festgelegt, dass die ehemals österreichischen Lande südlich des Brenners –Südtirol/Trentino – Italien zugeschlagen werden. Die deutschsprachige Bevölkerung sowie die ebenfalls betroffenen Ladiner waren mit den Maßnahmen der italienischen Regierung in den Folgejahren äußerst unzufrieden, denn diese verfolgte das Ziel einer vollständigen Italienisierung. Es wurde eine „Entdeutschung“ (Zitat) eingeleitet, die vom Verbot der deutschen Presse, ausschließlich italienischem Schulunterricht, Umbenennung deutscher Orts- Straßen- und Familiennamen bis zum Verbot der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit reichte.
Auch die nach der Machtübernahme Hitlers 1933 von vielen Südtirolern erhoffte Angliederung an das Deutsche Reich blieb aus, da Deutschland kein Interesse an einer Ausdehnung seines Einflussbereiches nach Norditalien, noch an der Entstehung von Konflikten mit dem befreundeten italienischen Regime hatte.
Die Option
Vor diesem Hintergrund beschlossen die beiden Regierungen, die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols vor die Wahl zu stellen:
– entweder in das deutsche Reichsgebiet umzusiedeln, unter Aufgabe der
angestammten Heimat, oder
– in Italien zu verbleiben und der Assimilierung unterworfen zu werden, ohne
Schutzmöglichkeiten für eine Minderheit.
Die Option für Deutschland wurde mit dem Versprechen der Gewährung erheblicher Vorteile verbunden: deutsche Staatsbürgerschaft, günstige Erwerbsmöglichkeiten, attraktive Siedlungsgebiete in noch zu schaffenden deutschen Gebieten mit großzügiger Zuweisung von Grund und Boden, finanzielle Entschädigung für aufgegebenen Besitz.
Andererseits würde der Verbleib in Italien eine Aufgabe der eigenen Kultur, Sprache und Identität bedeuten. Zudem waren Gerüchte im Umlauf, die verbliebenen Personen könnten nach Sizilien oder Nordafrika deportiert werden.
Die weitere Entwicklung
Der Termin für die endgültige Entscheidung der Bevölkerung wurde auf den 31.12.1939 festgelegt. Es entbrannte sofort eine heftige Auseinandersetzung zwischen den sog. „Optanten“, die eine Umsiedelung nach Deutschland befürworteten und teilweise intensiv und aggressiv dafür warben. Ihnen standen die sog. „Dableiber“ gegenüber, die für einen Verbleib in der Heimat und Kampf um den Erhalt der kulturellen Eigenständigkeit eintraten. Die Konflikte gingen vielfach mitten durch die Familien, wobei von beiden Seiten massiver Druck durch Gruppen und Organisationen ausgeübt wurde.
Im Ergebnis entschieden sich unerwarteter Weise rund 85 % der Südtiroler für eine Umsiedelung ins Reich. In Zahlen ausgedrückt bedeutete das, dass von rund 250 000 Betroffenen mehr als 200 000 zum Verlassen der Heimat bereit waren.
Die Durchführung der Umsiedelung
Ab Ende 1939 begann allmählich die Übersiedelung der ersten Optanten. Sie kamen in speziell als Zwischenstation eingerichtete Südtiroler-Siedlungen in Österreich. Obwohl die Aktion bis Ende 1943 abgeschlossen sein sollte, rückte bald die definitive Übernahme der versprochenen neuen Lebensräume in weite Ferne. Der deutschen Regierung war es bis 1941 nicht gelungen, auch nur einen einzigen Südtiroler in den geplanten Siedlungsgebieten im Osten oder anderswo anzusiedeln. Für diese wurden immer wieder neue Vorschläge gebracht, sei es die Krain oder Südsteiermark, besetztes polnisches Gebiet, Mähren oder gar die Krim. Selbst ein „SS-Mustergau Burgund“ wurde diskutiert.
Infolge des Kriegsverlaufes kam die Realisierung der Option immer mehr ins Stocken, da immer weniger Südtiroler zur Ausreise bereit waren, bis Mitte 1943 nur rund 75 000 Personen. Schließlich kam die Aktion endgültig zu Erliegen, als die deutsche Wehrmacht 1943 Südtirol und ganz Norditalien besetzte.
Nach Kriegsende 1945
Schon im Zuge des Einmarsches der deutschen Wehrmacht 1943 waren viele Südtiroler illegal wieder zurückgekommen. Nach 1945 strömte der größte Teil der Ausgewanderten zurück in die Heimat, wo sie jedoch erhebliche Schwierigkeiten erwartete. Nicht nur, dass sie ja Hab und Gut definitiv aufgebeben hatten, sondern sie waren auch rechtlich staatenlos. Der heftige Interessenskonflikt zwischen den Westmächten, Italien und Österreich über die Zugehörigkeit von Südtirol und seinen Bewohnern konnte 1946 schließlich in einem Abkommen (Gruber/de Gasperi) beigelegt werden. Den Rückkehrern wurde in großzügiger Weise die italienische Staatsbürgerschaft zugesprochen.
Es begann jedoch sofort der Kampf um die Zukunft Südtirols. Nach jahrelangem zähem Ringen, begleitet von teilweise blutigen Auseinandersetzungen, kam es zum jetzt gültigen Autonomiestatut, das generell als optimal empfunden wird.
Literaturempfehlung:
Grote, Georg: I bin a Südtiroler, Athesia-Verlag, Bozen 2009
Hervorragende Dokumentation zur Geschichte Südtirols:
http://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/zis/library/suedtirol-im-20.-jahrhundert