von Ute Lenke
Wer zugibt, in einem Chor zu singen, wird von seinen Mitmenschen oft als Sonderling belächelt. Der Stellenwert der Musik ist im Zeitalter von Radio und Abspielgeräten aller Art tief gesunken: Musik wird zwar gern gehört, aber nur Wenige wollen sie selber machen- und Singen schon gar nicht. Und Wilhelm Busch sagte: Musik wird oft als Lärm empfunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden.
Trotzdem gibt es gegenwärtig in Deutschland über 60 000 Chöre, die in Verbänden unter dem Dachverband der Bundesvereinigung Deutscher Chorverbände (BDC)organisiert sind und jährlich über 300 000 Aufführungen geben.Und die deutschen Amateurchöre wurden 2014 in die Liste der immateriellen Kulturgüter aufgenommen.
Amateurchöre als Weltkulturerbe
Chormusik ist sehr alt. Schon die alten Griechen entwickelten eine ausgefeilte Musiktheorie, denn sie hielten Musik für die harmonische Ausbildung der Seele und für den Ausdruck von Emotionen für besonders wichtig. Im Mittelalter gab es neben der kirchlichen und höfischen Musik auch bürgerliche Formen von Gesang und Instrumenten-Spiel. In dieser Zeit entwickelte sich die Mehrstimmigkeit: dass mehrere Sänger gleichzeitig unterschiedliche Melodien singen konnten, war neu.
Die Tradition deutscher Chöre entwickelte sich im 18. Und 19. Jahrhundert; sie ist ein Zeugnis der Emanzipationsbewegung der bürgerlichen Gesellschaft jener Zeit. „Kulturelle Tradition, gesellschaftlicher Aufbruch und lebendiges Engagement durchdringen sich bei der Pflege der Chormusik in den deutschen Amateurchören. Sie stellen einen Kern der Musiktradition, des Musiklebens und der Musikpflege in Deutschland dar.“ So begründete die Kommission der UNESCO ihre Wahl.
Was ist ein „Amateurchor“?
Dass Musik aber nicht immer als „schön empfunden“ wurde, sondern eher zu den „niederen“ Künsten gezählt wurde, stellte schon Immanuel Kant fest und zahlreiche amtliche Verordnungen verboten das „Singen und Schreien auf der Straße an Feiertagen“ (so 1628 in Bern).
Derartige Verbote zeigen jedoch, dass „Singen und Schreien“ eine gern geübte Freizeitbeschäftigung war – und bis heute ist, wie man an den Volks-„chören“ bei Fußballspielen und manchen feuchtfröhlichen Feiern feststellen kann.
Von den professionellen Chören, deren Mitglieder eine mehrjährige Musikausbildung haben, zum Beispiel Opernchöre, Kirchenchöre (Thomaner, Regensburger Domspatzen etc) soll hier nicht die Rede sein . Die UNESCO spricht von „Laienchören“, deren Mitglieder aus allen Gesellschaftsschichten kommen und die sich zum Zweck des gemeinsamen Singens, zu Proben und Aufführungen zusammenfinden. Das Liedgut ist teils traditionell : Männerchöre werden oft belächelt über ihr Repertoire mit „Am Brunnen vor dem Tore“ (mit rollendem rrrr); manche Chöre pflegen eher moderne Musik mit Jazz- und Gospelsongs; manche sind teils kirchlich, teils berufsständisch orientiert: die Bergmannschöre singen: “Glück auf, der Steiger kommt“.
Wo man singt, da lass dich ruhig nieder – Böse Menschen haben keine Lieder.
Warum fasziniert Singen so viele Menschen und zunehmend auch junge Menschen? Neben den zahlreichen Gesangsvereinen haben schliesslich auch jede größere Firma, Berufsverbände und andere mehr eigene Gesangsgruppen.
Wer im Chor singt, hat es schwerer als jemand, der morgens für sich unter der Dusche singt. Im Chor muss man sich auf die anderen einstellen, muss mit ihnen zusammen gleichzeitig einsetzen und enden, darf nicht zu laut, nicht zu leise und vor allem nicht daneben singen, gleichzeitig hört er aber die anderen, die unter Umständen auch noch anders singen: eine Stimme tiefer oder höher, anderen Text wie zum Beispiel beim Kanon.
Wissenschaftler haben herausgefunden, dass gemeinsames Singen nicht nur gemeinschaftsstiftend ist, sondern auch gegen Altersdemenz, Depressionen, Herz- und Kreislaufbeschwerden wirkt – sogar die Herzen der Sänger schlagen synchron. Chorsänger sind optimistischer, vitaler, ihr Immunsystem ist stärker und sie leben länger. Das alles ohne Pillen, und Spaß macht es auch.
Fazit: die UNESCO hat eine gute Wahl getroffen!
Informationen unter:
https://www.medizinpopulaer.at/archiv/medizin-vorsorge/details/article/singen-ist-medizin.html
Musikbeispiele aus : http://www.youtube.com; Hören durch Klick+Strg auf das im Text gekennzeichnete Lied
Manfred Spitzer: Musik im Kopf. Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk. 2009