Reisen als Berufung – Therese von Bayern

von Ute Lenke

„Ich habe mich vor nichts im Leben gefürchtet“ – diesen Mut brauchte Therese Prinzessin von Bayern, Cousine des Märchenkönigs Ludwig II. Ihr Leben verlief in für ihre Zeit ungewöhnlichen Bahnen: Sie war Naturforscherin, Weltreisende, Schriftstellerin, nicht gerade der übliche Lebensweg für eine Prinzessin aus dem Hause Wittelsbach am Ende des 19. Jahrhunderts.

„Du musst heiraten, sonst fällst du uns zur Last“

Das ist die Rolle, die für Prinzessinnen und auch bürgerliche Mädchen aus gutem Haus vorgesehen ist. Dazu hat Therese wenig Lust. 1850 geboren, wird sie nach dem frühen Tod der Mutter mit 13 Jahren Ersatzmutter für ihre Brüder, Ersatzrepräsentantin an der Seite ihres Vaters Luitpold von Bayern, des späteren Prinzregenten. Sie erhält die gleiche Erziehung wie ihre Brüder, für die die übliche Militärlaufbahn vorgesehen ist, lernt Latein und Griechisch, – 12 Fremdsprachen wird sie im Laufe ihres Lebens beherrschen -, Reiten und Fechten, liebt jede Art von Sport. Und sie entwickelt eine Leidenschaft für die Natur. Mit dieser Erziehung ist sie nicht gerade die ideale Heiratskandidatin für den europäischen Hochadel.  Das will sie auch gar nicht sein, denn der einzige, den sie aufrichtig liebt, ist ihr Cousin Otto, der Bruder des späteren „Märchenkönigs“ Ludwig. Aber Otto ist „gemütskrank“ und kommt für eine Heirat nicht in Frage.

1875 unternimmt sie unter der Obhut ihres Bruders Leopold eine „Studienreise“ nach Tunis, Algerien, Portugal und Spanien, inoffiziell, um mögliche Heiratskandidaten in Augenschein zu nehmen. Das misslingt, weckt jedoch Thereses Reiselust und Freiheitsdrang. Am liebsten würde sie  ihre häufig reisenden Brüder „als Koffer“ begleiten, aber Frauen dürfen nicht reisen: es gehört sich nicht, und der Vater weigert sich, solchen Luxus zu bezahlen. Die Reise nach Tunis wird dennoch zum Wendepunkt: Therese beobachtet, sammelt, bringt ethnografische Gegenstände, Musiknoten, Bücher mit. Später beschreibt sie ihre Eindrücke, erkennt, wie viel und was sie noch zu lernen hat.

Von nun an folgen zahlreiche weitere, selbst initiierte Reisen nach Nordeuropa, Russland, Amerika, Südamerika, durch die sie berühmt und von der internationalen Fachwelt anerkannt wird. *)

Sie hat ihren Weg gefunden:

Forschen – Reisen – Schreiben

Wie eine Reise in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts verlief, und erst recht für Damen, war anders als heute umständlich, verlangte lange und sorgfältige Planung.

Sie hatte den Arbeitsplan, den Alexander von Humboldt in seinen Werken beschrieben hatte, für sich entdeckt: erstens Festlegen der wissenschaftlichen Zielsetzung, Planung, Vorbereitung; zweitens Durchführung; drittens wissenschaftliche Aufarbeitung. Einziger Zweck ihrer Reisen: die Erforschung der Tier- und Pflanzenwelt in den abgelegensten Gegenden ferner Länder.

Zu Schritt 1 gehörten Informationen über das Land, die Sprache, Geografie, Pflanzen, Tierwelt, Geschichte, Kultur, Statistik, Klima. Das war eine enorme Arbeits- und Leseleistung – ohne die Fülle an Informationsmaterial, die uns heute zur Verfügung steht. Daneben waren auch immer noch ihre Pflichten für den Haushalt des Vaters und die Repräsentation an seiner Seite zu erfüllen. Einen Teil der Reiseorganisation überließ sie dem „Reisemarschall“, den der Vater ihr aufgedrängt hatte; er hatte darauf bestanden, dass die Prinzessin zwar inkognito als Gräfin Elpen, aber doch mit standesgemäßer Begleitung reiste: Reisemarschall, Diener, Hofdame.  Reisen war gefährlich: Auch eine Pistole musste dabei sein, die sie aber nie benutzte.

Schritt 2, die Durchführung:

Für die Reisegesellschaft war das kein Spaziergang, besonders der Reisemarschall war oft den Strapazen nicht gewachsen und wechselte, nur der Diener Max Auer begleitete alle Reisen. Man reiste abenteuerlich mit der Eisenbahn, mit Dampfern, auf wackeligen Booten, auf Pferden. Es gab kaum Fahrpläne, das Wetter spielte häufig nicht mit, Hotels waren selten und von zweifelhafter Qualität, man übernachtete meist in Zelten. Die Prinzessin war sportlich trainiert, zäh, ihr machten stundenlange Ritte – im Damensattel und mit langen Röcken wie damals üblich -, Regen, Kälte, Hitze, Schlafmangel, durchnässte und verschmutzte Kleidung, selbst Krankheiten nichts aus, doch das verlangte sie auch von ihren weniger geübten Begleitern. Ein Beispiel mag ihren Mut und ihre Kraft illustrieren: in Mexiko kam der Reisegesellschaft ein finsterer Geselle entgegen. Tatsächlich gelang es ihm, die Geldkassette zu rauben. Therese nahm ihre Röcke hoch und setzte dem Kerl nach, holte ihn ein; der warf vor Schreck die Kassette weg und gab Fersengeld. Sie hat sich in der Tat vor nichts im Leben gefürchtet.

Schritt 3: Die wissenschaftliche Aufarbeitung und Anerkennung:

Zurück in München nach oft monatelanger Abwesenheit und ertragenen Strapazen, warten wieder die verhassten Repräsentationspflichten an der Seite des Vaters, der nach dem Tod Ludwigs II. die Regentschaft in Bayern übernommen hatte. Daneben gilt jede freie Minute ihren „Souvenirs“ der Reise. Die gesammelten Gegenstände, Pflanzen, sogar lebende Tiere, Notizen, Fotos, Tagebücher, Beschreibungen müssen katalogisiert werden, Aufsätze und Veröffentlichungen geschrieben, Vorträge vorbereitet werden. Allein die Veröffentlichungen umfassen 29 Schriften, vieles aus dem Nachlass wartet bis heute in Archiven und Bibliotheken oder im Wittelsbacher Privatarchiv auf Bearbeitung. Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Arbeitsweise ist sie bald von Fachkollegen anerkannt, reist auf Kongresse. Sie erhält den Doktortitel h.c., wird als einziges weibliches Mitglied in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Erst jetzt, nach den Ehrungen 1897 ändert sie ihren Namen: um nicht als Frau von Verlegern abgelehnt zu werden, schrieb sie als Th. Bayer, nun veröffentlicht sie unter ihrem vollen Namen Therese Prinzessin von Bayern, Dr. h.c.

Obwohl sie sich beim Schreiben und Vortragen hauptsächlich an Wissenschaftler wendet – und das sind damals Männer -, zollen ihr auch Leserinnen Anerkennung für ihre Reisen und ihre wissenschaftliche und schriftstellerische Arbeit. Eine Rezensentin schreibt: „Das Werk unserer fürstlichen <Doktorin> ist eine ernste, tüchtige Leistung“ und „wir deutschen Frauen haben alle Ursache, stolz darauf zu sein,… dass wieder mal eine Landsmännin in unseren Tagen ehrenvoll den Pfad beschritten hat, den einst Marie Sybille Merian und Ida Pfeiffer mit Ruhm gewandelt sind!“*)

*) Biografie und Beschreibung ihrer Reisen sowie die hier wiedergegebenen Zitate aus:

Hadumod Bußmann, „Ich habe mich vor nichts im Leben gefürchtet“. Die ungewöhnliche Geschichte der Therese Prinzessin von Bayern. 3. Aufl., Insel Tb 2017

Hadumod Bußmann, Prinzessin Dr.h.c. Therese von Bayern. Ihr Leben zwischen München und Bodensee – zwischen Standespflichten und Selbstbestimmung. Allitera Verlag 2015