Ganzheitliches Gedächtnistraining

von Monica Lindenberg-Kaiser

Ein gutes Gedächtnis ist nicht ererbt, sondern durch gehirngerechte Nutzung erworben. Damit nach der Berufsphase das Gehirn nicht in Rente geht, kann ganzheitliches Gedächtnistraining Abhilfe schaffen.

.„Das darf ich nicht vergessen …“

Ältere  Menschen klagen darüber, dass Namen, Zahlen oder Termine für sie „Schall und Rauch“ sind. Sie zweifeln an den Fähigkeiten ihres Gedächtnisses und sind der festen Überzeugung, dass Vergesslichkeit eine unausweichliche Alterserscheinung ist, mit der „man“ leben muss. Sie verlassen sich auf externe Merkhilfen wie Notizbücher, post-it-Zettel, Kalender usw. Doch gelegentlich sind die Externas nicht auffindbar.
Ganzheitliches Gedächtnistraining spricht Körper, Geist und Seele an. Neben kognitiven Leistungen werden soziale Kompetenz, eine gesunde Ernährung und körperliche Fitness thematisiert. In der Gruppe Gleichgesinnter macht Lernen Spaß. Der Facettenreichtum des Trainings fasziniert, motiviert den Einzelnen und stärkt das Gruppengefühl. Der Erfolg stellt sich nachweislich ein.

Trainingsziele allgemein

Zwölf Trainingsziele bilden die Grundlage für eine Vielzahl kognitiver Übungen unterschiedlichen Schweregrades:
Merkstrategien, Mnemotechniken genannt, werden vorgestellt und praktisch umgesetzt.
Bewegungselemente aktivieren nicht nur den Körper, sondern hellen darüber hinaus die Stimmung auf. Sie werden ausgleichend eingesetzt und führen zum optimalen Aktivierungsniveau der Teilnehmer.
Arbeiten in der Gruppe fördert die soziale Kompetenz.
Erfolgserlebnisse und fehlender demotivierender Leistungs- bzw. Konkurrenzdruck helfen, Denkblockaden zu vermeiden.
Informationen über das Gehirn und die Gedächtnissysteme dürfen nicht fehlen,
Tipps zum Namensgedächtnis und Strategienzur Konzentrationsverbesserung werden erwartet.
Die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung wird gemeinsam diskutiert.
Wenn Humor in der Gruppe aufblüht und der Gedächtnistrainer in den Hintergrund treten kann, hat er seine Aufgabe optimal gelöst.

Übungsbeispiele zu den Trainingszielen

Wortfindung – Formulieren – Assoziieren – Strukturieren – Konzentration – Merkfähigkeit – Wahrnehmung mit allen Sinnen – Logisches Denken – Urteilsfähigkeit – Denkflexibilität – Kreativität und Phantasie – Zusammenhänge erkennen.

Sprachliche Ausdrucksfähigkeit:

Wortfindung: Suchen Sie Begriffe, die mit „Meer“ beginnen.
Formulieren: Suchen Sie aus einem Zeitungstext drei Wörter heraus und erfinden Sie eine kurze Geschichte, in der alle drei vorkommen.
Assoziieren: Was fällt Ihnen zum Monat Oktober ein?
Strukturieren: Ordnen Sie die folgenden Begriffe: Birke, Katze, Rose, Schaufel, Hund, Veilchen, Buche, Maus, Sense, Lilie, Kastanie, Heckenschere

Alltagstransfer

Konzentration: Tippen Sie mit den Fingerkuppen der rechten Hand nacheinander gegen den Daumen, mit dem Zeigefinger beginnen. Mit der linken Hand gegengleich.
Merkfähigkeit: Merken Sie sich bei einer Nachrichtensendung einige Themen. Notieren Sie später Stichworte zu jedem Thema.
Wahrnehmung: Was können Sie am Strand alles finden?
Kreativität und Fantasie: Was können Sie alles aus einer Büroklammer machen?
Zusammenhänge erkennen: Machen Sie sich Gedanken zum Klimawandel!

Geistige Beweglichkeit

Logisches Denken: Romeo und Julia liegen neben einer Wasserlache und Glasscherben tot auf dem Boden, was ist passiert? – Lösung: Zwei tote Fische. Wenn Sie an das Liebespaar in Florenz gedacht haben, haben Ihnen Ihre Vorkenntnisse einen Streich gespielt.
Urteilsfähigkeit: Wo steht das größte Amphitheater in Verona, Rom, Athen? – Lösung: ROM (Kolosseum)
Denkflexibilität: Suchen Sie zu jedem Buchstaben Ihres Vornamens einen Namen und eine Tätigkeit: z.B. M = Maria murmelt.

Eigene Erfahrungen

Die Autorin

Als langjährige Gedächtnistrainerin erlebe ich immer wieder, dass ganzheitliches Gedächtnistraining nicht mit einer Schulsituation vergleichbar ist. In den 60/90 Minuten langen Übungseinheiten werden ohne Zeit– und Leistungsdruck Aufgaben alleine, in der Kleingruppe oder im Plenum gelöst. Es kommt darauf an, sich auf den Weg zu machen, nachzudenken, eine oder mehrere Lösungen zu finden, d.h. neugierig zu sein. In der Gedächtnistrainingsgruppe beflügelt der Austausch untereinander und fördert die Teamfähigkeit. Kinder, fitte Erwachsene, Senioren oder Menschen mit Demenz profitieren gleichermaßen. Das Gruppenerlebnis fördert ein kollegiales Netzwerk, das auch außerhalb des Trainings trägt. Teilnehmer und Trainern begegnen sich auf Augenhöhe.

Bundesverband Gedächtnistraining e. V.

Pionier des stressfreien Gedächtnistrainings war Frau Dr. med. Franziska Stengel, Wien (1904-2003). Sie brachte den Stein ins Rollen.
1987 wurde der Bundesverband Gedächtnistraining e.V. (BVGT e.V.) gegründet. Der seit 2010 zertifizierte Verband konzipiert das Ausbildungsmaterial und bildet Gedächtnistrainer/innen aus. 2011 gehörten ihm etwa 4000 Mitglieder an.
Neueste Forschungsergebnisse fließen in das aktualisierte Arbeitsmaterial ein; die Inhalte werden den Bedürfnissen unter- schiedlicher Zielgruppen angepasst. Die Trainerausbildung umfasst 120 Übungseinheiten: Grundkurs, Aufbaukurs 1 und Aufbaukurs 2. Für die Qualitätssicherung ist alle drei Jahre eine Fortbildung (12 Übungseinheiten) vorgeschrieben.

Dachverband

Drei Verbände haben sich im deutschsprachigen Raum dem ganzheitlichen Gedächtnistraining verpflichtet (siehe Links). Seit 2006 besteht eine Kooperation. 2011 wurde gemeinsam ein Dachverband mit Sitz in Salzburg gegründet, der das Ganzheitliche Gedächtnistraining weiterentwickeln und die Ausbildungsstandards für die Aus- und Fortbildung auf hohem Niveau halten soll.

Fazit

Ganzheitliches Gedächtnistraining aktiviert die geistigen und körperlichen Ressourcen der Teilnehmer und fördert ihre soziale Kompetenz. Das vielseitige Programm fordert heraus, macht neugierig und ermöglicht Aha-Erlebnisse. Interessante Informationen runden das Programm ab.
Ohne Fleiß, kein Preis. Jeder kann und sollte etwas für seine geistige und körperliche Beweglichkeit tun. Vergesslichkeit ist nicht automatisch eine Alterserscheinung. Für alle, die ihr Gehirn ein Leben lang „gehirngerecht“ benutzen, ist ein zuverlässiges Gedächtnis die beste Belohnung. Die Angelsachsen sagen treffend: „Use it or lose it“.

Referenzen/Quellen:

Lust auf Evaluation (2004), Informations- und Arbeitsmappe zur Evaluation im Gedächtnistraining. Gassen Reiskirchen: Bundesverband Gedächtnistraining e.V.
Gedächtnis spielend trainieren, Dr. med. Franziska Stengel, 1976 Amandus Verlag
Gedächtnistraining, Theoretische und Praktische Grundlagen, Schloffer, Prang, Frick-Salzmann, Springer Verlag 2010, Monica Lindenberg-Kaiser, S. 13 ff

Links:
http//: www.bvgt.de

http//: www.gedaechtnistraining-oebv.at

http//: www.gedaechtnistraing.ch