von Elisabeth Grupp
Liebevolle Erinnerungen an eine der Generationen vor uns gibt es bei vielen von uns.
Trotz schwerer Zeiten waren Großeltern für uns Enkel da. Die Autorin gibt diesen Erinnerungen Raum.
Mein Großvater
Als einziger großelterlicher Teil war mir mütterlicherseits mein Großvater geblieben.
Die Ansprache „Groß-Vater“, als Älteste von drei Generationen war wesentlich schöner und aussagekräftiger, als die heutige „Opa Bezeichnung“.
Die Großmütter waren verhältnismäßig jung gestorben. Meine Mutter war elf Jahre, mit noch vier Geschwistern, als ihre Mutter 41 jährig verstarb. Mein Großvater, damals Soldat im Ersten Weltkrieg, durfte zum Sterben seiner Frau heimkommen.
Er blieb Witwer, arbeitete als Schlosser in einer Nähmaschinenfabrik, hatte zur Grundernährung der Familie eine kleine Landwirtschaft und kümmerte sich um seine Kinder.
Nach der Schule mussten die Mädchen wie auch Nachbarskinder, die ebenfalls Tiere hatten, Futter für die Ziegen holen. Das Gras sammelten sie mit der Sichel im zwei Kilometer entfernten Waldgebiet. Nach getaner Arbeit konnten die schulischen Hausarbeiten gemacht werden.
Als die Töchter größer und älter geworden waren, führte er sie zum Kirmes-Tanz (Kirchweih) in den Nachbarort, aus dem seine verstorbene Frau stammte. Er nähte den Mädchen Schuhe. Zu dem Zweck hatte er eine richtige Schuhwerkstatt eingerichtet. Nach der Schulzeit konnten sie nur im Wechsel einen Beruf erlernen, denn immer eines der Mädchen war vor Ort für den Haushalt und die kleine Landwirtschaft bestimmt.
Irgendwann flügge
Irgendwann flügge geworden, heiratete meine Mutter und der Kreislauf mit Kindern und somit Enkelkindern begann aufs Neue. Wir wohnten nicht weit entfernt und pflegten mit Großvater engen Kontakt. Er war kein schmusiger Mensch, denn das karge, entbehrungsreiche und aufreibende Leben hatte ihn in der Sorge um alles streng gefordert.
Oft hielt ich mich bei meinem Großvater auf. Eine Schwester meiner Mutter führte ihm den Haushalt. Beim Essen, wenn es was zum Abnagen gab, faszinierte mich sein Essensritual. Er arbeitete mit einem spitzen Messer so lange an dem Knochen, bis er blank war. Es blieben keine Essensreste im Teller zurück. Großvater war ein großer, stattlicher und schöner Mann. Er hatte ganz weißes Haar, trug einen Schnurrbart und hatte immer blitzblank geputzte Schuhe an. Bei ihm hatte alles seine Ordnung. Es gab nichts, was er nicht selber machen konnte. Es umgab ihn eine Ruhe und Sicherheit, die sich auf mich übertrug. In seiner Nähe fühlte ich mich geborgen.
Der Zweite Weltkrieg
An einem Nachmittag setzte mich Großvater in seinen großen Leiterwagen, den er zog. Er wollte auf seinen Acker gehen. Am Ortsende, wo die Straße ein Stück abwärts führte, setzte er sich auf den Wagen, hielt die Deichsel fest und steuerte ohne Bremsmöglichkeit, bis die ansteigende Straße das Tempo verlangsamte und der Wagen zum Stehen kam. Damals fuhr noch selten ein Auto auf der Landstraße.
An diesem Tag wurden wir auf dem Acker von Tieffliegern angegriffen und beschossen. Ich höre heute noch den schrillen und pfeifenden Ton. Sobald sie anflogen, rief Großvater mir zu „hinlegen“ und gleich lagen wir in einer Ackerfurche. Flogen sie wieder hoch, rief er „auf, auf, Marsch, Marsch“ und wir rannten in Richtung zu einer am Ackerrand verlaufenden Hecke. Da ich jung war und schneller rennen konnte als er, erreichte ich vor ihm die rettende Sicherheit. Für mich war es belustigend, Großvater zu sehen, verfolgt von den Tieffliegern, der sich wie ein Hase sputete, dann wieder in der Furche lag, seinen Kopf mit der Mütze schützend bedeckte, bis er nach vielen Anläufen bei der Hecke ankam. So konnte ich dem Schrecken einen Augenblick der Erheiterung abjagen.
Während der Kriegsjahre
Während der Kriegsjahre wohnte ich öfters über längere Zeit beim Großvater. Meine Tante versorgte uns prächtig. Ich teilte mit ihm das Schlafzimmer und bettelte beim Zubettgehen, sofort nachzukommen, denn ich litt unter großer Angst. Sobald er neben mir lag, konnte mich nichts mehr ängstigen.
Schon klein hatte ich die Gabe, mit meiner lustigen und fröhlichen Art den Großvater zum Lachen zu bringen. Ihm erzählend saß ich plappernd auf seinem Schoß und erheiterte ihn immer wieder aufs Neue. Er war stolz auf mich.
Zur Bedrückung in damaliger Zeit trug der immer wiederkehrende Fliegeralarm während des Tages wie auch in der Nacht bei. Bei heftigem Beschuss wie auch Bombenabwurf zündete man eine geweihte Kerze an. Im Luftschutzraum war ein metallener Räucherkasten, der beim Angriff mit meinen Zähnen um die Wette klapperte. In einer solchen Situation der völligen Hilflosigkeit gab mir Großvater Zuversicht und Trost. Ich wurde ruhiger und das Klappern ließ nach. So hatte ich jedenfalls das Gefühl!.
Nach Kriegsende
Einige Tage vor Ende des Krieges wurde unser Haus von Bomben getroffen. Wie durch ein Wunder wurden wir gerettet, jedoch die Familie meines Onkels war ein Opfer des Angriffs. Wieder war es Großvater, der uns in sein Haus aufnahm, man rückte zusammen.
Zu Kriegsende zogen die gegnerischen Truppen in unser Dorf ein. Diese Tage verbrachten wir im Wald. Dort hatte mein Vater zuvor mit einem Landwirt einen Stollen gegraben, der uns während der Wirren dieser Tage beherbergen sollte. Als der Stollen jedoch soweit fertig war, kam fast das ganze Dorf. Der Stollen war dafür natürlich viel zu klein, sodass man Frauen und Kinder in den Stollen ließ und die Männer draußen bleiben mussten. Großvater blieb bei uns Kindern, solange meine Eltern ins Dorf zurückgingen, um die Toten zu begraben. Es musste alles schnell gehen, weil die Jagdbomber alles Bewegliche beschossen.
Der Aufbau
Irgendwann endeten die schrecklichen Ereignisse. Der Aufbau begann so gut es ging und alsbald normalisierte sich das Leben. Die Begegnungen mit Großvater waren auf eine höhere Ebene gerückt, denn er interessierte sich für unsere Berufe und wir fragten ihn um Rat. Bei allen Festen war er zugegen, er freute sich über unseren beruflichen Werdegang, über die angeheirateten Partner seiner zehn Enkelkinder, die ihn zahlreich zum Urgroßvater machten. Wenn ich zurückdenke, so hat mein Großvater nie gejammert, er zeigte niemals sein Inneres. Meine Mutter hörte ihn nach dem Tod seiner Frau einmal in der Nacht weinen, dann war auch dieses Leid verschlossen. Achtzigjährig wurde er krank und starb nach kurzem Krankenlager.
Heute noch erzähle ich ihm beim Betrachten seines Bildes Ereignisse meines Lebens und manchmal sehe ich ein Lächeln in seinen Augen.
Er war mein Großvater!
Es wäre schön, wenn auch meine Enkel einmal solch liebevollen Erinnerungen hätten.