Abschiedsgruß einer Fremdgebliebenen

von Roswitha Ludwig

Nach einem Jahr verlor meine Mutter 2003 ihren Heimplatz, weil sie dort als Demente nicht mehr gepflegt werden konnte. Vielleicht hätte sie sich so von den Mitbewohnern verabschiedet.

Fremd bin ich eingezogen,
fremd zieh ich wieder aus.

                        Ein Jahr habe ich unter Ihnen gelebt,
                        nichts ist mir vertraut geworden in dieser Zeit.
                        Ich kann den Speisesaal nicht finden.
                        Ich suche mein Zimmer.
                        Suche, suche, suche und weiß oft nichts mehr.

Doch ich habe Sie alle gesehen
und mit Ihnen gesprochen, auch manchmal gelacht.
Ich lebte unter Ihnen mit Sehnsucht, mit Angst, mit Zorn.

                        Meistens hat mich Ihr Lächeln erfreuen können,
                        Ihr Zuspruch,
                        Ihre Aufmunterung,
                        Ihr Trost beruhigten mich manchmal.
                        Ihre Großzügigkeit schenkte mir Lebensraum,
                        wenn ich unverständlich handelte.

Fremd bin ich eingezogen,
fremd zieh ich wieder aus
und setze meinen Weg ins Dunkel fort.

                        Manchmal kann ich glauben,
                        dass ich gehalten werde.
                        Manchmal verlässt mich auch dieser Halt –
                        Und ich empfinde nur, dass ich alles verliere.

Zusammenhang

Diesen Text mit angefügtem Dankesgruß übergab ich der Heimleitung für den Aushang am Schwarzen Brett und dem Pfarrer zum Verlesen bei der Andacht. Die fristlose Kündigung des Heimvertrages am 10. Juni 2003 zwang mich dazu, für meine Mutter eine geschlossene Einrichtung zu suchen.
Wie in dem Beitrag „Demenz – Weg ins Unvorstellbare“ beschrieben, wird Frau M. nun das zehnte Jahr vollstationär gepflegt mit inzwischen fortgeschrittener Demenz. Ich begrüße es sehr, dass es inzwischen mehr Stationen für Demente gibt. Vor allem ist es wichtig, dass Zugänge ins Freie dazugehören, damit sich die Menschen nicht eingesperrt fühlen. Wer mit Freiraum leben kann, wird weniger aggressiv und braucht weniger sedierende Medikamente.