von Manfred Mätzke
In manchen Situationen vergeht die Zeit wie im Fluge. Dann wieder zieht sie sich ewig hin oder steht sogar still. Unser Verhältnis zu ihr ist höchst widersprüchlich, zuweilen nervig oder belastend, dann wieder beglückend. Eine Partnerin auf Lebenszeit – ohne sie können wir nicht sein.
Leben im Augenblick
Im Hier und Jetzt leben, jeden Augenblick gegenwärtig sein, wird häufig als erstrebenswertes Ziel propagiert. Achtsam mit der Zeit umgehen, sie bewusst wahrnehmen. Nicht die gezählte, die gelebte Zeit erfüllt uns: Die Zeit der ersten Liebe, die Zeit bis zur Ankunft von Freunden, das Warten auf eine ärztliche Diagnose, das Stehen im Stau und vieles, vieles mehr. Kurzweile und Langeweile, Warten und Aktivsein, Ungeduld und Muße. Nur spürbar im Verlauf der Zeit. – Im Verlauf der Zeit? Vergeht sie? Oder sind wir es, die sie vergehen lassen. Je nach Empfinden schnell oder langsam. Die Zeit, ein Mysterium.
Zeitgefühl
Die Marschallin im Rosenkavalier konstatiert, dass die Zeit nichts an den Sachen ändere, dass sie ein sonderbares Ding sei. Rein gar nichts, wenn man so dahin lebt. Aber plötzlich spüre man nichts als sie. In seinem Roman Zauberberg schreibt Thomas Mann auch über Zeitgefühl und Zeitempfinden. Unter anderem, wenn die Zeit einem lang vorkommt, dann ist sie es, kommt sie einem kurz vor, dann ist sie es. Aber wie lang oder kurz sie in Wirklichkeit ist, das weiß niemand. Dass sogar zuweilen in der Erinnerung das über lange Zeit gelebte Leben auf einen Augenblick zusammenschrumpft oder länger zurück liegende Situationen „gerade erst gewesen“ sind, kennen wir alle.
Die Zeit im Lebenslauf
Unser Umgang mit der Zeit und die Art wie wir sie erleben, ist fester Bestandteil unserer Biographie, unserer Entwicklung. Im Jugendalter zählen wir die Jahre, bis wir erwachsen und eigenständig sind. Zeit taucht auf, wenn es um die Dauer von Ausbildungs- oder Studiengängen geht, um die Vorbereitungszeit auf Prüfungen. Wir schauen auf die Zukunft mit einem unerschöpflich scheinenden Zeitbudget. Im mittleren Alter werden wir uns des begrenzteren Zeitrahmens bewusst. Schauen auf vielleicht verpasste Gelegenheiten, suchen neue Herausforderungen, ziehen Bilanz und suchen Erfüllung.
Die Zeit im Alter
Im Alter schließlich, „in der Zeit, die bleibt“ wird deutlich, ob das bisher gelebte Leben trägt. Ob wir unser Leben bejahen oder es betrauern. In der Zeit des zunehmenden Angewiesen seins auf andere kommt es zu einer wesentlichen Veränderung der Zeitwahrnehmung und Zeitgestaltung. Beim Besuch im Altenheim sehen wir oft eilende Mitarbeitende und Bewohner, die schweigend und unbeweglich an den Tischen sitzen oder sich in den Fluren entlang tasten – Menschen, die keine Vergangenheit und Zukunft mehr kennen und Menschen, die sich noch an Ritualen und der Zeit, die andere für sie haben, freuen können.
Zeit im Traum
Viel Zeit verbringen wir im Schlaf. Nützlich, weil er der körperlichen Erholung und der geistig-seelischen Reinigung dient. Und, je nach Traumerleben und -erinnerung, unterhaltsam, ängstigend oder erstaunlich. Manchmal alles zugleich. Doch wie erleben wir die Dauer der Traumerlebnisse? „Die Traumzeit entspricht in Etwa der Echtzeit“, sagt Michael Schredl vom Mannheimer Institut für seelische Gesundheit. Das mag sein. Aber faszinierend ist wie im Traum Elemente aus verschiedenen Lebenszeiten zusammengefügt werden. Und erstaunlich, dass wir in kurzen Zeiten des Träumens Dinge erleben, die wesentlich länger scheinen – und es geträumt auch sind.
Zeitwacht
Neben dem „Verein zur Verzögerung der Zeit“ will die „Gesellschaft für Zeitkultur“ das Phänomen Zeit von verschiedenen Seiten anschauen. Daraus für das eigene Leben und das seiner Umgebung Schlüsse ziehen. Die „Deutsche Gesellschaft für Zeitpolitik e. V.“ will zu lebensfreundlichem Ausgleich zwischen Be- und Entschleunigung und zur Nachhaltigkeit von Alltagszeitstrukturen beitragen. Sie entwirft Modelle von Zeitsouveränität, von individuellem und kollektivem Zeitwohlstand. Neben diesen Vereinigungen gibt es für den Umgang mit der Zeit ausreichend Ratgeberliteratur und Kurse für Zeitmanagement. Mit der Zeitverwendung von Personen in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Haushaltstypen beschäftigt sich alle zehn Jahre die Zeitbudgeterhebung. Sie wird vom Statistischen Bundesamt im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt. Übrigens: Auch eine Armbanduhr zur Entschleunigung wird angeboten. Nur der Stundenzeiger ist vorhanden.
Quellen und Links
Zeitgefühl
http://hjschlichting.wordpress.com/1994/06/19/menschliche-zeit-1/
Zeit und Leben
http://www.socialnet.de/rezensionen/5153.php
http://www.ekd.de/si/projekte/abgeschlossen/pflege_zeitstrukturen.html
Traumzeit
http://www.pm-magazin.de/r/gute-frage/tr%C3%A4umen-wir-echtzeit
http://www.scinexx.de/dossier-detail-12-9.html
Zu: Zeitwacht
http://www.zeitverein.com/
http://www.zeitkultur.de/index.php?PHPSESSID=cfd4936f6fbaeb782a878b792478a04d
http://www.zeitpolitik.de/index.html
https://www.destatis.de/DE/Meta/AbisZ/Zeitbudgeterhebung.htm
http://www.philomenon.net/2011/07/die-uhr-zur-entschleunigung/