von Erna Subklew
In den letzten Jahren waren es immer wieder Familienromane, die mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurden. Was ist es, das diese Romane auszeichnet?
Was ist ein Familienroman?
Unter der Gattung Familienroman versteht man Romane, die über eine Anzahl von Jahren das Geschick einer Familie beschreiben. Sie erzählen von den Ereignissen und Konflikten, die das Geschick dieser Familie beeinflussen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Konflikte durch die Familienmitglieder oder von außen hervorgerufen werden. Es ist auch nicht wichtig, ob sie politischer oder gesellschaftlicher Art sind. Man sagt, dass Familienromane immer dann Konjunktur haben, wenn die Bevölkerung wenig Interesse am öffentlichen Leben hat oder durch die politischen Umstände unterdrückt wird.
Die handelnden Personen entstammen meistens dem Bürgertum (Th. Mann: Die Buddenbrooks), früher auch dem Adel (Th. Fontane: Effi Briest). In der Neuzeit stammen die Themen auch aus dem Arbeitermilieu (Ulla Hahn: Das verborgene Wort).
Wichtig für diese Gattung ist die realistische Schreibweise. Das bedeutet einerseits, dass die Ereignisse so in der Realität geschehen sein könnten und wirklichkeitsgetreu dargestellt werden. Anderseits ähnelt die Sprache in hohem Maße der Alltagssprache.
Die Geschichte des Familienromans
Den Beginn des deutschen Familienromans legt man ins 18. Jahrhundert, obwohl es davor schon einzelne Familienromane gegeben hat. 1747 erschien C.F. Gellerts Roman: Das Leben der Schwedischen Gräfin von G.
Vor dem 18. Jahrhundert war die vorherrschende Gattung der Abenteuerroman. Die Protagonisten dieser Bücher waren vor allem Adlige.
Im Gegensatz zu Deutschland liegt der Beginn des Familienromans in Frankreich früher und seine Themen erfreuten sich bald einer immer größer werdenden Leserschaft. Als Beispiel sei nur Flauberts Mme Bovary genannt. Der berühmteste Familienroman des 19. Jahrhunderts aber dürfte Tolstois Anna Karenina gewesen sein.
Im 20. Jahrhundert, als das Interesse auch in Deutschland immer größer wurde, erschien der wohl bekannteste Familienroman, Thomas Manns Die Buddenbrooks. Aber auch in England, Frankreich und den USA wurden in dieser Zeit immer mehr anspruchsvollere Familienromane gedruckt.
Im 21.Jahrhundert hat diese Romangattung ein breites Interesse gefunden.
Der Familienroman im 21. Jahrhundert
Wie groß das Interesse am Familienroman ist, erkennt man daran, dass seit 2005 jedes Jahr immer ein Familienroman den Deutschen Buchpreis bekommen hat.
Im Jahre 2005 erhielt Arno Geigers Buch „ Es geht uns gut“ diesen Preis, 2006 Katharina Hackers „Die Habenichtse“, 2007 Julia Francks „Die Mittagsfrau“,
2008 Uwe Tellkamps „Der Turm“. 2009 bekommt den Preis Katharina Schmidts „Du stirbst nicht“, dieses Mal allerdings kein Familienroman. Aber schon im nächsten Jahr wird die Auszeichnung des Familienromans mit Melinda Nadj Abonjis „Tauben fliegen auf“ wieder aufgenommen, um darauf mit Eugen Ruges „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ fortgesetzt zu werden.
Natürlich ist der Fokus jedes dieser Bücher unterschiedlich. Abonjis Roman beschreibt hauptsächlich die Bindungen innerhalb der serbischen Flüchtlingsfamilie, die Großeltern-Generation tritt nur beim Besuch in der alten Heimat in Erscheinung. Bei Eugen Ruges Buch dagegen agieren gleich vier Generationen miteinander und bilden die Handlung.
Warum Familienroman
Meiner Ansicht nach gibt es mehrere Gründe für die Beliebtheit dieser Gattung von Romanen. Die so genannten 68er haben oftmals mit der Elterngeneration gehadert und sogar gebrochen. Die Eltern haben viel geschwiegen und über ihr Verhalten in der Zeit von 1933 – 1945 nicht kommuniziert. Die Kinder konnten nicht verstehen, dass Eltern sich nicht gegen die damaligen politischen Zustände gewehrt haben, dass sie keinen Widerstand aufbauten, sich im Gegenteil sogar mit den damaligen Machthabern arrangiert haben und ihren Nutzen daraus zogen. Anstatt sich mit der Elterngeneration auseinanderzusetzen, ging die Kommunikation zwischen den Generationen von der Sprachlosigkeit zu einem völligen Zerwürfnis über. Nun selber älter und vielleicht auch gelassener geworden, ist die folgende Generation auf der Suche nach dem Wissen, dass sie durch ihre Haltung damals, verpasst haben.
Die Kinder haben halb vergessene Ereignisse, auch Verletzungen, die man erinnert, von denen man vielleicht etwas hören möchte und bei denen man Schwierigkeiten hat, mehr zu erfahren, da niemand mehr da ist.
Heutige Familien
Wie sieht die heutige Familie aus? Eine Familie, die sich wie früher ganz normal aus Vater, Mutter, Kindern zusammensetzt, gibt es nur noch bedingt. Was wir heute haben sind eine Anzahl von Familienformen von der allein erziehenden Mutter oder dem allein erziehenden Vater bis hin zu jeder Art von Patchwork-Familie. Oft heiraten Väter noch einmal eine Partnerin im Alter ihrer Tochter und die Generationen geraten durcheinander. „Normale“ Mutter – Vater – Kind-Familien gibt es selten.
In manchen Städten besteht die Hälfte der Haushalte bereits aus nur einer Person „Single“ genannt. Aber da ist auch noch das Gefühl, dass man ja gar nicht allein bestehen kann, dass man das Glied einer langen Kette ist und vermisst die fehlenden Angehörigen. Nicht umsonst suchen Adoptivkinder nach ihren leiblichen Eltern, suchen sogar Kinder, die mithilfe einer Samenspende gezeugt wurden, nach ihrem leiblichen Vater.
Vielleicht ist es unsere auf so viel Beliebigkeit aufgebaute Zeit, die uns den Familienroman so attraktiv erscheinen lässt.
Quellen für den Artikel waren:
Dr. Michael Ostheimer: Die Nachwirkungen des Nationalsozialismus in der deutschsprachigen Familienliteratur
(Kultur – Zeitschrift des Goethe-Instituts)
http://www.cicero.de/salon/die-sehnsucht-nach-halt-im-patchwork-zeitalter/47629
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-12/familie-heute