Aufstieg und Ende einer Glashütte

von Anne Pöttgen

Auch die größte Glashütte der Welt hat keinen Bestand, wenn die Globalisierung die Konkurrenz an anderer Stelle der Welt bevorzugt. Oft durch Lohndumping: keine Erfolgsstory der Arbeiter hier und dort.

Die Industrialisierung

Seit wann genau Maschinen die Arbeit der Menschen erleichtern oder sie ihnen einfach wegnehmen, ist von Land zu Land verschieden. England war wohl Vorreiter. In Deutschland wurde die Produktionsweise der Glashütten im neunzehnten Jahrhundert stückweise geändert.
Eine Glashütte bestand in der Vergangenheit aus einer Gruppe von mehreren Familien, deren Oberhaupt der Hüttenmeister war. Jeder in der Gruppe hatte eine festgelegte Aufgabe, Aufstiege waren möglich. Die Hütten entstanden da, wo genügend Holz zur Verfügung stand, Glas wird bekanntlich durch Erhitzen der Glasmasse hergestellt. Irgendwann zog man weiter.
Damit war Schluss, als Kohle zum Anheizen zur Verfügung stand. Es wurden umfangreiche Produktionsstätten errichtet, die Anlieferung von Materialien und der Abtransport der fertigen Glaswaren erfolgten über die Eisenbahn.

Gründung der Gerresheimer Glashütte

n den dreißiger Jahren des Neunzehnten Jahrhundert blühte der Eisenbahnbau auf. Die Industriellen im Gebiet der oberen Wupper wollten ihre Fertigwaren kostengünstig und schnell zum Rhein hinunter schaffen und begannen eine der frühesten Linien zu bauen.
Davon profitierte Ferdinand Heye, der im Jahre 1864 ein Grundstück nahe der Eisenbahnlinie Düsseldorf – Wuppertal kaufte, um hier eine Glashütte zu errichten. Heye stammte aus einer Bremer Familie und wollte sich fernab seiner Geburtsstadt eine Existenz aufbauen. Schon sein Vater hatte Glashütten besessen, die aber seine älteren Brüder fortführten.
Die Anfänge waren klein und einfach, wie es wie bei allen späteren Großbetrieben in der Firmenchronik zu lesen ist. Aber immerhin wurden 5 Hektar Land erworben, was auf Optimismus schließen lässt. Rohstoffe für die Glasfertigung, in erster Linie Quarzsand, waren im Bereich der Kölner Bucht reichlich vorhanden. Ebenso die Nachfrage: Wein und Mineralwasser vom Rhein und aus der Eifel, ebenso wie Bier wurden jetzt in Glasflaschen transportiert. Und die Kohle lieferte das nahe Ruhrgebiet.

Der Aufbau

Zunächst waren 4 Hütten geplant und auch genehmigt, bald folgten 3 weitere. Hütte ist ein recht schillernder Begriff, wie ein Blick ins Lexikon zeigt, in diesem Fall ist es eine Werkstätte, in der mit Hilfe diverser Geräte und Behältnisse Glas hergestellt wird und zwar überwiegend Hohlglas, nämlich Flaschen.
Neue Technologien führten dazu, dass alsbald in drei Schichten gearbeitet werden konnte. Ab zwölf Uhr mittags schmolz das Gemisch von Kalk, Soda und Sand in feuerfesten Tonbehältern, den Häfen. Anschließend konnte das fertige, flüssige Glas verarbeitet werden. Die Glasmacher arbeiteten in drei Schichten, von morgens ½ fünf bis mittags zwölf Uhr, von ½ eins bis abends acht Uhr und von ½ neun bis zum nächsten Morgen um vier Uhr. Diese Arbeitseinteilung wurde so getroffen „damit die benannten Arbeiter alle Hauptmahlzeiten im Kreis ihrer Familie einnehmen können“.

Und die Menschen?

Glasbläser waren keine sesshaften Leute, wenn ihnen etwas nicht passte, suchten sie sich einen neuen Hüttenmeister. Das war auch im Neunzehnten Jahrhundert noch so. Um überhaupt Arbeiter für die geplanten 4 Hütten zu bekommen, mussten zunächst Arbeiterwohnungen gebaut werden. Die beiden kleinen Häuschen waren die ersten einer stattlichen Anzahl: Zur Jahrhundertwende gab es 1.000 Wohnungen.
Wie sahen die Häuser aus? Anfangs einstöckig mit zwei Wohnungen, später hatten sie zwei Stockwerke mit insgesamt vier Wohnungen. Je Wohnung gab es zwei Schlafstuben, eine Wohnstube und eine Küche. Später kam eine „Dunkelkammer“ dazu, die Glasmacher, die viele Stunden im grellen Licht gearbeitet hatten, mussten sich erholen. Hinten hinaus gab es ein kleines Grundstück für Garten und Schweinestall.
Und woher kamen die Glasmacher? Aus Ostpreußen und Polen, aus dem Baltikum und sogar Russland; es gibt Statistiken, die besagen, dass fast 80 Prozent von jenseits der Elbe kamen. Sie alle brachten ihre Kenntnisse über die Kunst des Glasmachens mit, sie waren angesehene Leute.

Die Nachfrage wächst

Mit der steigenden Nachfrage nach Flaschen wächst die Produktion. Ein Verzeichnis der Produktion aller deutschen Glashütten im Jahre 1886 hält für Gerresheim u.a. fest: “1.200 Arbeiter, 3 Dampfmaschinen, Jahresproduktion ca. 45 Millionen Flaschen, Größte Flaschenhütte der Welt.“ Eine unvorstellbare Anzahl von Flaschen je Arbeiter. Tatsächlich wurde aber zu dieser Zeit schon mit Halbautomaten gearbeitet, so dass nicht jede Flasche einzeln geblasen wurde.
Aus Besichtigungen heute noch existierender kleiner Glashütten kennen wir vielleicht die Glasmacherpfeife. Für die Herstellung einer Flasche oder eines Glases wird ein flüssiges Stück Glas aufgenommen und mit Hilfe des Atems des Arbeiters wird so viel Luft hinein geblasen, dass der gewünschte Hohlraum entsteht.
Im Jahre 1903 erfand ein Glasmacher, Michael Owens, in Amerika eine Maschine, die den Arbeitern die anstrengende Arbeit des Blasens ganz abnahm. Und sehr vielen Glasmachern die ganze Arbeit. Mit der Saugblasmaschine konnten angelernte Leute pro Tag 4.800 bis 9.600 Flaschen herstellen.

Zeitläufe

Die Zeit des Ersten Weltkriegs, die Zwanziger und die dreißiger Jahre ebenso wie die Jahre des Zweiten Weltkriegs waren für die Glashütte, wie für viele andere Wirtschaftszweige auch ein Auf und Ab.
Nach 1945 begann wieder ein Aufschwung. Neue Arbeiter wurden angeworben, die sogenannten Gastarbeiter. Die alten Fertigkeiten sind nicht mehr gefragt, seitdem mehr Maschinen bei der Arbeit halfen. Neben den Leuten, die mit der Glasproduktion beschäftigt sind, sind aber eine große Zahl von Handwerkern tätig, die die Zu- oder Reparaturarbeiten übernehmen.
Die Nachkommen der Glasmacher aus aller Herren Länder sind längst echte Düsseldorfer geworden. Das Städtchen Gerresheim ist seit hundert Jahren ein Vorort Düsseldorfs. Auch die letzte Arbeiterwelle – Italiener – hat hier längst Kinder und Enkel. Aber niemand von ihnen arbeitet mehr wie Eltern, Großeltern und Urgroßeltern in der Glashütte. Die Flaschen werden heutzutage in Asien hergestellt. Und fast niemand mehr spricht noch das „Hötter Platt“, die Sprache, die sich aus der Glasmacher-Fachsprache und den zahlreichen Idiomen der Arbeiter gebildet hatte.

Ende und Aus in Gerresheim

Der Rost regiert

„1959 übernahm die US-amerikanische Owens-Illinois mit Sitz in Toledo (Ohio) 50,1 % der Aktien und 1971 die qualifizierte Mehrheit an der Gerresheimer Glas AG. Zwischen 1977 und 1979 erlebte die Glashütte einen wirtschaftlichen Niedergang. Infolgedessen wurden die werkseigenen Sozialleistungen drastisch gekürzt. So wurden u. a. die Arbeiterwohnungen teils verkauft, teils abgerissen.
Ab November 1985 wurde die Gerresheimer Glas AG wieder ein konzernfreies Unternehmen. Neuer Mehrheitseigner wurde die Westdeutsche Landesbank (WestLB), die der Owens Illinois rund 58 % an der Gerresheimer Glas AG abkaufte. 1990 erwarb dann die VIAG eine Mehrheit am Kapital der WestLB.
1999 verkaufte die Gerresheimer Glas AG die Glashütte Gerresheim zusammen mit fünf anderen Produktionsstandorten an das französische Unternehmen BSN glasspack. Im Dezember 2004 erwarb Owens Illinois die BSN glasspack und damit auch die Glashütte Düsseldorf erneut. Im August 2005 stellte Owens Illinois die Glasproduktion in Düsseldorf-Gerresheim, nach 141 Jahren, ein.“ (Wikipedia)
Der Name Gerresheimer lebt allerdings weiter.

Quellen: Gerresheimer Glas, Bruno Kammann, Verlag Klartext, 2007
sowie mündliche Auskünfte von früheren Mitarbeitern der Glashütte
Das Foto „Der Rost regiert“ stammt von Marek Gehrmann, der Ausschnitt wurde vergrößert von Günther Günthär. Lizenz by-sa

Links
Video Glasherstellung
Die Arbeitersiedlungen in Gerresheim
Lizenz by-sa
Gerresheimer (Glas)