von Erdmute Dietmann-Beckert
In Wikipedia finde ich drei Deutungen zum Begriff „Nachbar“:
1. Abgeleitet von ‚nahe und Bauer‘, sind angrenze Gebäude, Wohnungen, Personen gemeint.
2. Bezug auf juristische Personen wie: Betriebe, Büroabteilungen
3. Im übertragenen Sinn: angrenzende Gemeinden, Staaten, Sternkonstellationen
Zum Begriff „Heimat“ lese ich, dass man damit eine Beziehung zwischen Mensch und Raum bezeichnet.
In meinem Beitrag werde ich mich mit den Nachbarn an meinem Wohnort beschäftigen.
Meine Wohnung
Seit fünf Jahren wohne ich in einen neuen Haus am Stadtrand. Es hat zwei Stockwerke, dazu eine Dachterrasse. Im ersten Stock gibt es drei Wohnungen, zwei mit plus einhundert Quadratmetern, eine, die mittlere, fünfundsechzig. Der zweite Stock umfasst eine Wohnung über die gesamte Breite des Hauses, 250 Quadratmeter. Sie gehört einer Familie, Eltern mit einer Tochter. Die Dachterrassenwohnung ist um die einhundert achtzig Quadratmeter groß und wird von einer Person bewohnt. Drei Personen besitzen die größeren Wohnungen. In der kleinsten wohnen zwei Personen. Der Aufzug verbindet das Erdgeschoss mit der Dachterrasse. Das Haus ist nicht unterkellert. Im Erdgeschoss befinden sich die Garagen, sowie je ein Raum für die Waschmaschinen, einer für die Fahrräder, einer für die Haustechnik.
Es gibt eine Hausmeistergruppe, die die Reinigung des Treppenhauses und der Erdgeschossräume besorgt, die Mülleimer pünktlich vor das Haus stellt und die die Außenanlage pflegt.
Mitbewohner
Wenn ich tagsüber die Wohnung verlasse, kommt es fast nie vor, dass ich einer anderen Person aus dem Haus begegne. Die Mitbewohner arbeiten außer Haus. Einmal im Jahr gibt es eine Eigentümerversammlung beim Hausverwalter. Hier treffen sich die Mitbewohner. Die Eigentümer zahlen monatlich eine Kostenpauschale. Der Verwalter legt die Abrechnung für das vergangene Jahr vor. Neben den fortlaufenden Kosten für die verschiedene Dienstleistungen, wie die Ausgaben für Anwälte, Reparaturen und die Ausgaben für die Hausverwaltung mit Büro und die Angestellten. Die Versammlung bestätigt durch Handzeichen, dass sie die Abrechnung zur Kenntnis genommen hat oder es gibt Fragen.
Die Wohnlage
Das Haus hat einen roten Anstrich und steht unmittelbar am Fluss. Der Erbauer hat es „Riverside“ genannt. Das Flussufer ist mit Büschen, Sträuchern und einigen Bäumen bewachsen. Es gibt einen Zaun mit einem Türchen zu einem Anlegeplatz für ein Boot. Da niemand aus dem Haus ein Boot angelegt hat, wächst dieser langsam zu. Das verhindert im Sommer die freie Sicht auf das Wasser. Fast ganzjährig sind Ruder-, Paddel-, Drachenboote auf dem Wasser unterwegs. Um Pfingsten gibt es eine Regatta auf dem Fluss. Dann kommen Teilnehmer auch von überall mit ihren Booten und messen sich gegenseitig in Wettbewerben. Für diesen Bootssport ist der Fluss durch ein Wehr angestaut.
Am Fluss
Von meinem Balkon aus kann ich die verschiedenen Ruder- oder Drachenboote beobachten. Sie gehören verschiedenen Vereinen. Die Mitglieder treffen sich ganzjährig in den verschiedenen Gaststätten, beziehungsweise in ihren Vereinshäusern, die am Fluss liegen. Im Sommer gibt es einen Bootsverleih für alle, die selber paddeln wollen. Es gibt auch Tretboote. Dazu gibt es zwei Ausflugsschiffe, die sich „Schlammbeißer“ nennen. Was das Wort bedeutet, habe ich bis jetzt nicht erfahren können. Es soll jedenfalls nicht heißen, dass der Schlamm weggebissen wird. Mit diesen Booten können auch „Nicht-Sportler“ den Fluss mit den Gartenanlagen und Häusern aus der Nähe anschauen.
Es ist auch möglich von einem Flussfenster unter Wasser die Fische und Wassertierchen zu beobachten. Dazu geht es mit einem Aufzug unter die Wasseroberfläche. Dann sehe ich unmittelbar vor mir, was sich im Wasser bewegt.
Heimat?
In dem Haus lebe ich noch nicht lange. Es ist erst vor wenigen Jahren gebaut worden. Auch in der Stadt bin ich erst seit ein paar Jahren. Der Wohnort ist für mich nicht Heimat schlechthin. Auch die unmittelbaren Nachbarn vermitteln mir keine „Heimat“. Deshalb war ich zunächst fremd in der Stadt, im Haus. Als ich eingezogen bin, gab es nur zwei weitere Bewohner. Doch ich habe sehr bald liebe Menschen außerhalb des Hauses kennengelernt, die mir das Einleben leicht gemacht haben und mir ein Gefühl von „Daheim-zu-sein“ vermittelten. Inzwischen ist dieser Ort neben den anderen Orten, wo ich gelebt habe und wo ich zuhause war und noch bin, ebenfalls zur “Heimat“ geworden. Es sind die Menschen, die mir etwas bedeuten, für die ich etwas bedeute, die mir zur „Heimat“ werden, unabhängig vom Ort.
Die Bedeutung der Heimat
Warum ist es für mich so wichtig, eine Heimat zu haben? Ich kann mir nicht vorstellen, nicht einen Ort zu haben, an dem ich zu Hause bin. Wo ich für mich sein kann.
Einmal am Abend, während ich auf meinen Bus wartete, sah ich im Automatenraum der Sparkasse einen offenbar wohnsitzlosen Mann mit seinem Hund sitzen. Er kauerte auf dem Boden hinter der sich öffnenden und schließenden Tür, weil Kunden ein- und ausgingen. In der Hand hielt er ein Getränk. Sein Schäferhund lag ruhig vor ihm. Es dauerte nicht lang, bis andere Männer zu ihm traten. Sie kannten sich wohl, „Brüder der Straße“. Sie blieben aber nicht bei ihm, sondern zogen mit ihren Bierdosen weiter. Haben diese Männer keine Heimat, keinen privaten Ort?
Wie lange kann ein Mensch ohne einen festen Ort leben? Kann irgendein warmes Plätzchen genügen? Ich denke diese „heimatlosen“ Menschen hatten auch einmal eine Heimat, ein Zuhause. Sie müssen Gedanken an „Heimat“ verdrängen, darum der Alkohol. Der wärmt und lässt vergessen.
Für mich bedeutet „Heimat“ Schutz und Geborgenheit, Wärme, Zuflucht und Glück.
Flüchtlingsnot
In diesen Tagen sind „Flüchtlinge“ fast täglich Thema der Nachrichten. Sie haben ihre Heimat verloren. Hilfsorganisatoren bemühen sich, einen Ort zu vermitteln, wo sie wohnen können. Wo sie Schutz finden, wo sie versorgt werden, wo sie freundlich aufgenommen werden. Es ist gut, dass es in unserer sicheren Heimat nicht wenige Menschen gibt, die sich aus humanitärer Verantwortung und Nächstenliebe für sie einsetzen. Und dass der Verlust der Heimat auch einmal überwunden werden kann. Jedoch soll nicht verschwiegen sein, dass es auch Ablehnung gibt und Menschen, die helfen wollen, bedroht werden.